Von Marnie Hux-Ebermann im Interview mit Rolf Germann
«Social Distancing». Zwei Jahre mussten wir unsere Kontakte zu Freunden, Bekannten und sogar zu unseren Familienmitgliedern erheblich eindämmen. Isolation und Vereinsamung waren bei vielen die Folge. Was die Pandemie mit uns gemacht hat und welche Entwicklung sich vielleicht schon vorher angekündigt hat, beleuchten wir im Interview mit Rolf Germann, Seelsorger Coach und Supervisor.
Merken Sie als Coach und Seelsorger, dass die Menschen in den letzten zwei Jahren aufgrund der Pandemie und Corona-Massnahmen einsamer geworden
sind?
Definieren wir einmal die Einsamkeit, dann muss man einen grossen Unterschied machen zwischen ihr und dem Alleinsein. Man kann allein sein und absolut zufrieden sein damit, und umgekehrt kann man sich auch in der grössten Menschenmenge einsam fühlen. Auf die Zeit der Pandemie bezogen glaube ich, dass die Menschen es bereits vorher stark mit Einsamkeit zu tun hatten. Sie hat diese einfach ein stückweit sichtbarer gemacht. Das Gefühl der Einsamkeit haben alle irgendwann schon erlebt. In einer Welt, in der immer mehr läuft, fällt es uns oft schwer, es auszuhalten. Dem Gefühl, das entsteht, wenn es plötzlich ruhig wird um uns, gehen wir gerne aus dem Weg.
Was liegt dieser Einsamkeit zugrunde? Was können Auslöser und Gründe dafür sein?
Bei knapp 8 Milliarden Menschen auf dieser Welt können wir eigentlich nicht einsam sein, uns wohl aber so fühlen. Zu erkennen, dass Einsamkeit ein Gefühl ist und kein Zustand, kann ein Anfang sein. Die Einsamkeit zeigt uns auf, dass unsere Probleme so gross geworden sind, dass wir sie nicht mehr verdrängen können. Meistens ist dieser Zustand nicht selbst gewählt, er passiert durch Umstände. Es kann sein, dass uns das gewohnte Umfeld genommen wird. Vielleicht sind wir verlassen worden und die Erfahrung sitzt noch tief. Vielleicht sind wir ausgeschlossen worden oder eine Krankheit oder ein Ortswechsel haben uns zugesetzt. Veränderungen bewirken manchmal Einsamkeit. Wenn wir an die vielen Flüchtlinge denken, die jetzt in einem Land fernab ihrer Heimat sind, dann können wir uns vorstellen, wie einsam sie sich fühlen müssen.
Was können mögliche Ansätze sein, diesem Gefühl zu begegnen?
Einsamkeit ist grundsätzlich nichts Negatives. Negativ sind darin unsere Gedankengebäude, die uns davon abhalten, Gutes aus ihr entstehen zu lassen. Hier hilft eine Gedankenveränderung, eine neue «Bewertung der Situation». Auf die Art, wie ich einen Zustand bewerte, folgt meine Reaktion. Für diese neue Bewertung ist es hilfreich, sich ein Gegenüber zu suchen. Genau damit tun sich einsame Menschen aber oft schwer. Es lohnt sich aber gerade hier, der Einsamkeit entgegenzutreten und mit einem Gegenüber seine Gefühle zu reflektieren: Was macht mich einsam? Was ist das für ein Gefühl? Wo kommt es her? Was für Gedanken kreisen in meinem Kopf? Was frustriert mich?
Gott hat uns ja als Gegenüber geschaffen. Wie können wir ihn als Gesprächspartner «aktivieren» bzw. mit ihm beginnen zu reden?
Markus berichtet in der Bibel im Kapitel 4 darüber, dass die Jünger auf einem Boot auf dem See unterwegs waren und Jesus vorne im Boot schlief. Ein bedrohlicher Sturm zog auf, das Boot lief voll Wasser und die Jünger weckten Jesus, damit er ihnen helfe. Jesus stand auf, gebot dem Wind Einhalt, befahl dem Sturm «sei still!» und sofort legte sich der Sturm. Dieser Sturm steht sinnbildlich für unsere Gefühle und Situationen, in denen wir uns überfordert, ohnmächtig und einsam fühlen. Und dieser Jesus ist auch da, wenn unsere Stürme toben. Wenn wir anfangen, mit ihm darüber zu reden, wird etwas passieren. Wir dürfen Jesus wecken.