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Gleichberechtigung ist auch Männersache

 
Publiziert: 09.01.2015

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Von Evelyne Baumberger

Lohnungleichheit, die «gläserne Decke », sich entscheiden zwischen Beruf und Familie – beim Stichwort Gleichberechtigung wird meist an die Benachteiligung von Frauen gedacht. Dabei ist es auch ein Männerthema: Männer sind mitverantwortlich für Lösungen; Gleichberechtigung kommt ihnen aber auch genauso zugute. Ein Plädoyer dafür, Schulter an Schulter für Chancengleichheit zu kämpfen.

Kürzlich im Restaurant, einer mit dezentem Chic umgebauten Industriehalle. Ich bin nach dem Gang auf die Toilette gerade dabei, mir die Hände zu waschen, als sich die Tür öffnet und ein Mann eintritt. Mein Blick muss ziemlich erstaunt sein, wenn nicht sogar schockiert, doch er reagiert total cool: Lächelt charmant, sagt «Hallo», geht an mir vorbei und zieht dabei dem Baby, das er auf dem Arm trägt, das heruntergerutschte Söckchen hoch. Wickeltisch nur auf der Damentoilette – für ihn offenbar nicht das erste Mal.

Die wenigsten Männer machen wohl den Gang auf die Damentoilette. Viel eher gehen in einer solchen Situation halt die Frauen das Baby wickeln. Von meinen männlichen WG-Mitbewohnern – beide sind Väter von zwei Kindern – habe ich schon einige solcher Stories gehört. Dass sie als junge Väter stärker unter Beobachtung stehen, ob sie die Erwartungen auch tatsächlich erfüllen können, und dass ihnen weniger zugetraut wird. Dass es schwierig ist, für den «Papitag» andere Väter zu finden, um zusammen in den Zoo zu gehen. Weil immer noch sehr viele Männer unter der Woche gar keinen solchen «Papitag» haben, weil ihr Job kein Teilzeitpensum zulässt. Umgekehrt stellte eine Freundin kürzlich die These in den Raum, dass freiwillige Vollzeitmütter ihren Partnern etwas wegnehmen. «Diskriminierung» – das Wort scheint hier etwas übertrieben. Trotzdem: So richtig zufriedenstellend sind solche Situationen nicht.

Frauenquote, Lohngleichheit, flexible Arbeitszeitmodelle – meistens stehen in der Diskussion um Gleichberechtigung vor allem die Bereiche im Fokus, wo Frauen benachteiligt sind. Weil es dort lange Zeit grossen Aufholbedarf gab – und auch heute noch gibt. Ich bezeichne mich zwar als Feministin, weil ich mich dafür einsetze, dass Frauen nicht mehr länger die Flügel gestutzt werden. (Und dass sie sich das, nebenbei bemerkt, nicht immer wieder selber antun.) Mit diesem Anliegen kämpfe ich aber nicht gegen Männer, sondern ich wünsche mir vor allem eine Diskussion – mit beiden Geschlechtern. Denn Gleichberechtigung ist auch Männersache.

Einen Tag im Leben ein Mann sein
Der Nobelpreisträger und frühere anglikanische Erzbischof Desmond Tutu sagte einmal, wer angesichts von Ungerechtigkeit neutral bleibe, wähle die Seite des Unterdrückers. Der Kirchenmann aus Südafrika erzählte dazu noch eine kleine Geschichte: «Wenn ein Elefant auf dem Schwanz einer Maus steht und du sagst, du seist neutral, dann wird die Maus deine Neutralität nicht schätzen.» Für Chancengleichheit sind Männer und Frauen verantwortlich. Und meistens kommt Gleichberechtigung sogar beiden zugute, denn sie löst festgefahrene Rollenbilder auf. Auch für die Männer.

Wie gerne würde ich mal einen Tag lang in die Haut eines Mannes schlüpfen! Es gibt so vieles, worauf ich neugierig wäre. Mal abgesehen von den naheliegendsten, sagen wir mal, Handlungen, nehmt ihr Männer die Welt bestimmt ganz anders wahr als Frauen. Ist es wirklich so, dass ihr Männer nie kalt habt? Wie ist es, eine tiefe Stimme zu haben, vibriert einem da irgendwie der Schädel beim Sprechen? Kitzelt das? Und dann das Rasieren! Ich verrate Ihnen jetzt mal ein Geheimnis: Ein Mann, der sich gerade rasiert, so richtig mit duftendem Schaum und scharfen Klingen, wirkt unglaublich attraktiv. Einmal im Leben ein Mann sein, sich ausgiebig über den Bart streichen und sich diesen dann abrasieren – was wäre das für ein Erlebnis!
Gerne wäre ich auch einmal ein Mann in der Arbeitswelt: Eine ganz andere Welt für Männer und Frauen. Als Mann, hört man immer wieder, muss man sich durchsetzen. Manchmal auch mit harten Bandagen, je höher man auf der Karriereleiter steigt. Viele Frauen wollen sich das nicht antun, rücksichtslos andere aushebeln. Auch das kann man nicht pauschalisieren – doch im Kern ist es Realität. Die Geschäftsführerin von Facebook, Sheryl Sandberg, hat zu diesem Thema das Buch geschrieben «Lean In: Women, Work, and the Will to Lead» («Frauen und der Wille zum Erfolg») 1 . Es fasst Erlebnisse zusammen, die Sheryl Sandberg selber in ihrer Karriere gemacht hat, und sie gibt daraus Tipps, wie sich Frauen verhalten sollten, um beruflich vorwärts zu kommen. Nur ein Beispiel: Von einer Frau wird unbewusst erwartet, dass sie nett ist. Wenn eine Frau sich also durchsetzen will, sollte sie hart verhandeln, aber dabei ein Lächeln aufsetzen. Fazit des Buches «Lean in»: Eine Frau kann beruflich genauso weit kommen wie ein Mann, sie muss es aber viel mehr wollen. Ich bin noch nie an diese Grenze gestossen, begegne dieser Situation aber immer wieder im Zusammenhang mit Freikirchen: Dort ist der Weg für Frauen in leitende Positionen nicht durch Hürden erschwert, sondern wird ihnen mit Barrieren versperrt. Diese Chancenungleichheit einfach hinzunehmen – das kommt für mich nicht in Frage.

Auch männliche Rollen ändern sich
In der Gesellschaft ist die Situation ähnlich, wenn ein Elternpaar nicht die traditionelle Rollenverteilung wählt. Vollzeitväter sind immer noch weniger akzeptiert, es haftet ihnen das Stigma des beruflichen Versagers an. Auch für Männer lohnt es sich also, für Gleichberechtigung einzustehen. Lohngleichzeit zum Beispiel würde bedeuten, dass die Entscheidung, wer wie viel arbeiten geht und wer mehr für die Kinder da ist, nicht mehr von den Finanzen abhängt. Denken Firmen eher quer und lassen flexible Arbeitsmodelle zu, dann steigt die Akzeptanz von Teilzeitarbeit. Auch für Männer, welche nicht «nur Ernährer», sondern als Vater im Alltag der Kinder präsent sein möchten. Und umgekehrt: Wenn Frauen sich auch in den höheren Etagen der Geschäftswelt etablieren, heisst das, dass auch dort nicht mehr das traditionelle Rollenverhalten zählt. Dass es auf das Geschlecht irgendwann gar nicht mehr ankommt – auch nicht im Sinne einer Quote. Dass man sich weniger mit (männlich konnotierter) Rücksichtslosigkeit durchsetzen muss.

Weniger festgefahrene Rollen, das heisst, dass sich der Einzelne besser entfalten kann. Weniger Entweder-oder, mehr Lebensqualität. Dass man sich flexibler an die Bedürfnisse der Familie und des Partners anpassen kann. Und nicht zuletzt: Es bedeutet alternative Vorbilder für die kommenden Generationen.

Frauen und Männer sind und bleiben unterschiedlich – zum Glück! Aber vieles, was heute gelebt wird, hat nichts mit dem Geschlecht und biologischer Notwendigkeit zu tun, sondern mit traditionellen Rollenbildern. Wenn diese gesprengt werden, ist das keine Abschwächung der natürlichen Eigenschaften und persönlichen Wesenszüge als Mann und Frau. Im Gegenteil: Gleichberechtigung bedeutet Freiheit, sich zu entdecken und seinen Charakter zu leben, seine Träume zu verwirklichen, sein Leben zu gestalten.

 
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